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Corrigir

Ich Trag' Den Staub Von Deinen Straßen

Reinhard Mey

Ich trag' den Staub von deinen Straßen
An meinen Schuhen heute noch mit mir herum
Ich hab' sie halt nie putzen lassen
Nur aus Vergesslichkeit? Nun ja, vielleicht darum
In tausend Liedern hat man dich besungen
Da kommt es nun auf ein Lied mehr ja auch nicht an
Ich hab' den Kopf voll von Erinnerungen
Mehr als ich wohl in einem Lied erzählen kann
Von Moabit bis hin nach Lichtenrade
Vom Wedding bis hinauf nach Wittenau
Da kenn' ich Kneipen, Plätze, Fassaden
Wie jedes Loch in meinen Taschen so genau

Da gibt es Kneipen, wie vor hundert Jahren
Da steh'n am Tresen noch die Stammkunden umher
Die zur Eröffnung auch schon hier waren
Da gibt es Dinge, die gibt es schon fast nicht mehr
Da ist der Bierhahn niemals ganz geschlossen
Da steht ein Brotkorb, und der ist für jeden frei
Und mancher holt sich dort sein Almosen
Und isst's im Duft von Eisbein und Kartoffelbrei
Da gibt es Straßen voller Glanz und Flitter
Und ein paar Schritte weiter and're Straßen, wo
Die Tür'n verschloss'ner als Kerkergitter
Die Pflastersteine härter sind, als anderswo

Da gibt's Fassaden, die wie damals prangen
Und jeder Mauerstein erzählt: „Es war einmal“
Als wär' die Zeit dran vorbeigegangen
Dann gibt es andere, da war es nicht der Fall
Da gibt es Heilige und Sonderlinge
Weltenerlöser und Propheten aller Art
Und man hört lächelnd verworr'ne Dinge
Von Weltenuntergang und sünd'ger Gegenwart
Da gibt's noch Seen und richtige Wälder
Mit echten Förstern drin, in zünft'ger Tracht
Da gibt's noch richtige Wiesen und Felder
Und echte Füchse sagen sich dort gute Nacht

Da gibt es Laubenpieper, deren Gärten
Ein Stückchen Sanssouci, ein Stückchen Acker sind
Vor Apfelbäumen und Gartenzwergen
Dreh'n unverdrossen kleine Mühlen sich im Wind
Da gibt es Dorfau'n, wie im Bilderbogen
Auf denen spenden Gaslaternen gelbes Licht
Da sind die Vorhänge zugezogen
Und hinter jedem Vorhang regt sich ein Gesicht
Da gibt es Wüsten aus Beton und Steinen
Und alle Straßen darin sind gespenstisch leer
Wie eine Fata Morgana scheinen
Noch ein paar Schrebergärten vor dem Häusermeer

Höfe, in die sich keine Fremden wagen
In denen immer grade irgendwas passiert
In denen, wie hier die Leute sagen
Man mit dem Schießeisen die Miete abkassiert
Da gibt's von Zeit zu Zeit noch einen greisen
Halbtauben Lumpensammler, der am Haustor schellt:
„Ankauf von Lumpen, Papier, Alteisen!“
Schon fast ein Fabelwesen einer and'ren Welt
Der Braunbierwagen fährt längst and're Lasten
Den Scherenschleifer und den Kesselschmied
Den Alten mit seinem Leierkasten
Die gibt es fast nur noch in meinem Lied

Ich trag' den Staub von deinen Straßen
An meinen Schuhen heute noch mit mir herum
Ich habe sie halt nie putzen lassen
Nur aus Vergeßlichkeit? Nun ja, vielleicht darum

Composição: Reinhard Mey





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